„Man muß mit den Menschen sein und nicht herzlos umherwandern.“

Basti: Seit wann sind Sie schon in Wallmow?

Frau Schröder: Ich wurde am 8.12.1921 in Wallmow in meinem jetzigen Wohnhaus geboren.

Basti: Wie war ihre Kindheit in Wallmow?

Frau Schröder: Wie die Zeit halt war, man lebte innerhalb der Gemeinschaft und meine Eltern hatten eine Gastwirtschaft und eine Post, eine große Postagentur. Meine Mutter war im Innendienst und so wurde ich mit der Post groß.

Basti: Zu welcher Schule gingen Sie?

Frau Schröder: Ich wurde eingeschult in Wallmow, dort, wo die Familie Braun wohnt. Da bin ich 4 Jahre zur Schule gegangen. Das waren meine ersten 4 Schuljahre und da waren immer zwei Klassen zusammen.

Basti: Waren die Schüler unterschiedlichen Alters, wie zum Beispiel der eine 10 und der andere 6?

Frau Schröder: Ja. Unterrichtet wurde nach dem Alter. Die jüngeren fingen mit dem ABC an und die, die schon im 4. Schuljahr waren, machten währenddessen anderen Lehrstoff, wie zum Beispiel Niederschriften oder irgend etwas, damit sie beschäftigt waren.

Basti: Also war die Schule damals nicht so gut wie heute?

Frau Schröder: Ja, aber ich muß sagen, damals hab ich Basti, dem Sohn der Familie Fester, in seinen ersten Schuljahren Deutschunterricht gegeben und habe festgestellt, daß der Unterricht damals viel intensiver geführt wurde. Und ich hatte viele Freundinnen, die einwandfreies Deutsch bis zum Ende ihres Lebens geschrieben und gesprochen haben, was man heute kaum noch findet.

Basti: Wo haben Sie ihre restliche Schulzeit verbracht?

Frau Schröder: Weitere 4 Jahre hab ich hier verbracht, wo heute das Gemeindebüro ist, das war damals auch eine Schule, und da ich von meiner Kindheit an Landwirtschaft gelernt hatte, da meine Eltern auf dem Standpunkt standen, daß man alles lernen muß, und wenn es verlangt wird, kannst du es einsetzen und wenn es nicht verlangt wird, kann es dir nicht schaden, daß du es gelernt hast. Für diese Erziehung bin ich meinen Eltern immer noch dankbar und ich vertrete heute noch denselben Standpunkt. Als mein Vater krank wurde, gaben wir die Landwirtschaft auf und dies war auf einer Art gesehen auch mein Glück!

Basti: Warum?

Frau Schröder: Na, da ich die Post 15 Jahre im Haus hatte und somit auch Telegramme schreiben und aufnehmen gelernt habe, konnte ich mich dann auch in der Post in Stettin bewerben und ich bin dann auch in Stettin in der Telegraphie ausgebildet worden, unten an der Hauptpost an der Oder. Und ich wohnte dann bei meiner Tante, die in Stettin wohnte. In Stettin gefiel es mir unheimlich gut, die Bahnverbindung war gut, so daß ich nach meinem Dienst zurück nach Wallmow fahren konnte.

Basti: Wie hast Du den Krieg erlebt?

Frau Schröder: Mein Onkel, der war Bahnbeamter und er wohnte in der Nähe des Hauptbahnhofes, wo dann auch Bomben fielen. .

Basti: Zu welcher Zeit fielen die Bomben?

Frau Schröder: Es war Anfang 1940. Und da bekamen meine Eltern es doch mit der Angst zu tun und sie sagten zu mir: „Laß dich nach Prenzlau versetzen!“ Das ging jedoch nicht und so hab ich Pasewalk gewählt und dort gefiel es mir noch besser. Da hab ich auch das Fernamt und den ganzen Postdienst einschließlich mit dem Arbeiten am Schalter kennengelernt. Ja, aber da die Front immer näher kam und ganz Ostpreußen im Treck war und alle durch Pasewalk liefen, war es fürchterlich für mich. Aber wir durften unseren Arbeitsplatz nicht verlassen, bevor unser Chef es nicht für nötig hielt, denn wir mußten ein Schreiben vorweisen, falls wir unterwegs kontrolliert werden. Außerdem hätte es keinen Sinn gemacht, denn es wäre ein zu großes Durcheinander gewesen. Zu Fuß floh ich dann bis 6 Kilometer vor Wismar, das war auch mein Glück, denn in Wismar waren die englischen Soldaten und vorm Ort waren die Russen. Dies war alles eine Riesenstrapaze. Und dann wollte ich zu Fuß mit einer Frau und ihrem Sohn weiter nach Hamburg, aber wir sind nur bis Ratzeburg gekommen. Meine Verwandten aus Pommern sind in Neustadt in Holstein gelandet, bei meinem Onkel, der bei der Marine war. Da wollte ich auch hin. Zusammen mit einem Mann, der auch Richtung Holstein wollte, bin ich dann losgestiefelt. Dann bin ich auf einem Bauernhof vor Lübeck gewesen. Die Leute wollten, daß ich da bleibe, weil ich alles konnte. Aber ich wollte nach Neustadt.

Basti: Zu welcher Zeit war das?

Frau Schröder: Es war 1945, als der Krieg zu Ende war. Jedenfalls, als ich in Neustadt ankam, hörte ich wenige Wochen später, daß meine Verwandten aus Stettin in Nordfriesland in Eutin waren. Als der erste Zugverkehr wieder lief, reiste ich dorthin. Dort arbeitete ich in der Post. Meine Freundin ging zurück nach Pasewalk, weil sie dachte, daß ihre alte Wohnung, wo wir damals gewohnt hatten, frei ist. Doch das war sie nicht, aber die, die dort wohnten, gaben uns ihr Zimmer. Meine Freundin besorgte mir meinen alten Job in der Post, und so kam ich zurück nach Pasewalk.
Von dort aus konnte ich auch wieder meine Eltern besuchen. Ich hab mir zu Weihnachten ein Fahrrad ausgeborgt und bin dann nach Wallmow für 6 Tage gefahren. Nach 2 Tagen mußte ich zurück, weil durch Krankheit viele Arbeiter der Post krank geworden waren und ich sie vertreten sollte. Jedenfalls bin ich bei einem Schneesturm nach Pasewalk mit dem Fahrrad gefahren, und nachdem ich 1 Tag in der Post saß, wurde ich krank. Da beschloß ich, nach Holstein zu meinen Verwandten zurückzugehen, aber dadurch, daß ich durch eine verschleppte Grippe eine Lungentuberkulose erlitt, mußte ich die Krankheit in Wallmow bei meinen Eltern auskurieren. Als ich gesund war und als in Wallmow ein Hauptbuchhalter gesucht wurde für die Landwirtschaft in Wallmow, bekam ich diese Arbeit und lernte dabei meinen Mann kennen. Und seitdem lebe ich in Wallmow. Mein Mann ist mittlerweile aber gestorben.

Basti: Warum sind Sie denn in Wallmow bis jetzt noch geblieben?

Frau Schröder: Na erst, weil ich meine Eltern, da sie schon sehr alt waren, nicht alleine lassen wollte und außerdem, ein Mensch, der auf einem Eigentum groß geworden ist, das schon lange in Familienbesitz ist, will dieses Eigentum auch nicht verlassen. Da hängt mein Herzblut dran.Und ich hätte drüben bleiben können, aber ich konnte doch meine alten Eltern hier nicht alleine lassen, das ging alles nicht. Das ist solch eine Verbundenheit, ich hatte so ein schönes Zuhause. Ich hätte es nie verlassen können und jetzt ist die Familie Fester meine Familie.

Basti: Was waren für Sie die gravierendsten Veränderung seit der Wende im Dorf?

Frau Schröder: Wir waren alle sehr begeistert. Unser Geld war ja im Gegensatz zum Westgeld nichts wert und es wurde ja auch vom Westen auf die Einheit gedrängt. Und hier wollten auch viele den Staat  nicht mehr, denn es mangelte an allem. Es war zum Anfang erst unbeschreiblich, aber allmählich kristallisierte sich heraus, daß durch die Beendigung der LPG immer mehr arbeitslos wurden, weil die Technik im Vordergrund war. Es gab keinen Anbauplan in dem Sinne und da man keine Kartoffeln mehr anpflanzen mußte, also man konnte nach seinem Belieben wirtschaften. Dadurch sank die Anfrage auf einfache Arbeitskräfte, die mit Spaten und Hacke arbeiteten.

Basti: Und wie erlebten Sie die Zu- und Wegzüge aus Wallmow?

Frau Schröder: Na, es war dann so, daß viele in den Westen zu Verwandten zogen, anfangs gab es kaum Zuzüge. Doch durch das Errichten der Freien Schule kam es dazu, daß viele nach Wallmow zogen. Und durch Tanz und die besser werdenden Feste hat Wallmow mehr Reiz bekommen. Und mittlerweile haben sich die Neuwallmower und Altwallmower aneinander gewöhnt und das find ich toll.

Basti: Finden Sie, daß Wallmow besonders ist?

Frau Schröder: Ja, weil es mein Heimatort ist. Ich würde auch nirgendwo anders wohnen wollen, weil ich noch viele Menschen von früher kenne und weil die Jugend mir gefällt. Wallmow ist ein schöner Ort, ich kann nur sagen, ich kann nirgendwo anders wohnen. Außerdem hab ich mit der Familie Fester eine sehr, sehr liebe Familie.

Basti: Gibt es auch negative Seiten an Wallmow?

Frau Schröder: Dazu kann ich gar nichts sagen. Wenn ich durchs Dorf gehe, sieht man, daß jeder an seinem Haus pusselt und alles ist dadurch schön gemacht. Es gibt keinen Verfall, es ist einfach wunderbar. Das sagen auch viele, die früher hier gewohnt hatten.

Basti: Wünschen Sie sich, daß ihr Enkelkind, also der Sohn der Familie Fester, in Wallmow bleibt?

Frau Schröder: Ja, ich möchte es gerne, aber dies läßt sich heute noch nicht sagen. Es liegt ganz alleine an ihm.

Basti: Was war für Sie das entscheidendste Erlebnis seit der Wende in Wallmow?

Frau Schröder: Der Anstoß, daß alles in Wallmow verändert wurde, wurde durch die Familie Henkys herbeigeführt. Sie sorgten dafür, daß der Dorfteich umgebaut wurde. Und durch die Errichtung einer ABM hatten auch viele im Dorf wieder Arbeit. Aber am schönsten fand ich, daß die Kirche renoviert wurde, dank der Familie Henkys. Ich bin zwar nicht mehr in der Kirche, aber ich denke, die Kirche ist der Mittelpunkt eines Ortes, außerdem war sie schon uralt.

Basti: Zurück mal zu den Zuzügen nach der Wende. Waren oder sind die Neuwallmower für Sie Fremde?

Frau Schröder: Nein, ich bin nicht so. Ich unterhalt mich gerne mit diesen Leuten und bin allgemein sehr aufgeschlossen gegenüber Fremden. Außerdem muß man ihnen doch eine Chance geben, damit sie einen Halt haben. Meine Einstellung kommt daher, daß nebenan gleich der Laden ist und so kommen viele an meinem Haus vorbei und so kommt es halt dazu, daß man sich bekanntmacht. Deshalb kenn ich viele und dadurch entwickelte ich auch andere Sichtweisen.

Basti: Hatten Sie anfangs Vorurteile?

Frau Schröder: Nein ich bin ihnen offen gegenübergetreten. Man sollte auch ein Herz haben, sonst wird man nie gute Kontakte knüpfen können. Man muß mit den Menschen sein und nicht herzlos umherwandern.

Basti: Denken Sie, daß sich die Neuwallmower und Altwallmower gut verstehen?

Frau Schröder: Nein, ich denke, das hat sich allmählich gut vermischt. Es gibt auch kaum große Unterschiede mittlerweile. Natürlich gibt es einige Ausnahmen, aber diese gibt es halt auf dieser Welt. Diese Menschen werden aber nicht lange bestehen.

Basti: Wie würden Sie Wallmow jemanden beschreiben?

Frau Schröder: Nur in Lobestönen, mir gefällt Wallmow, wie es jetzt ist und so sollte es auch bleiben.

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