„Ich hatte irgendwann mal die Lust, selber für mich wieder Musik zu machen.“

Lucie: Wann bist du denn nach Wallmow gekommen?

Reinhard:  Wallmow habe ich 1987 das erste Mal im November gesehen, glaub ich. Wir waren damals auf der Suche nach einem neuen Wohnort, ja, es gab Gründe zum Umziehen. Und da haben wir uns so umgeguckt und, wie gesagt, 1987 im November haben wir hier Wallmow kennen gelernt und sind 1988  hergezogen, im Sommer.

Lucie: Was waren die Gründe?

Reinhard:  Zum Umziehen?

Lucie: Ja.

Reinhard:  Rein privater Natur, natürlich (schmunzelt). Also, wir hatten ein Haus bewohnt im Randgebiet von Berlin und gleichzeitig hatten wir ja zu der Zeit auch schon unseren Handwerksbetrieb. Da gab es bestimmte Anforderungen. Entweder mußte die Werkstatt erweitert oder vergrößert oder sogar neu gebaut werden. Und das war so ein Schritt, sich zu sagen, wo wollen wir denn jetzt wirklich bauen? Damit legen wir uns dann auch richtig fest. Sicherlich spielte auch ein Stück weit die Diskussion der Auswanderung eine Rolle. Viele Leute waren in Bewegung und so stellten wir uns die Frage, ja nicht direkt gestellt, aber die stand so im Raum: was wollen wir eigentlich? Da haben wir uns gesagt, daß wir eigentlich lieber auf dem Dorf  leben wollen. Also dies war auch ein Gesichtspunkt. Weiterer Gesichtspunkt war die spezielle Lage im Randgebiet von Berlin, von der Infrastruktur her, die ökologische Belastung, also die Umweltbelastung ganz einfach durch Rüdersdorf als Nachbarort. Das Zementwerk hat uns zu viel Dreck gemacht. Ja, das sind so Gründe, die da mit reingespielt haben..

Lucie: Wie kam es dann dazu, daß es Wallmow wurde?

Reinhard:   Mehr oder weniger zufällig. Einfach das Ergebnis unserer Recherchen.

Lucie: Daß ihr dann das Haus hier gefunden habt?

Reinhard:  Ja.

Lucie: Und wenn ihr über die Werkstatt nachgedacht habt, habt ihr euch dann vielleicht auch Gedanken gemacht, hier vielleicht mit weniger Absatz rechnen zu müssen oder war die Arbeit erst mal im Vordergrund?

Reinhard:  Das spielte damals gar keine Rolle, da eben die DDR-Wirtschaft anders strukturiert war. So wie die Leute damals eben zu uns nach Petershagen gekommen sind, so hieß der frühere Wohnort, so sind wir einfach davon ausgegangen, daß wir hier auch unsere Arbeit machen und Absatz haben werden. Das war eben auch alles so ganz dicht vor der Wende und die wirtschaftlichen Veränderungen waren zu diesem Zeitpunkt ja überhaupt nicht absehbar. Das muß man sich auch immer vor Augen halten, daß wir nicht die Entscheidung getroffen haben aufgrund der Veränderungen, sondern das war ja vor der Wende. Natürlich schon mit der genannten Diskussion über Auswanderung und vor allem der Frage, wie es weitergehen soll.

Lucie: Welche Vorstellungen, Visionen oder Träume hattest du, oder hattet ihr, als ihr hier nach der neuen Heimat gesucht habt?

Reinhard:  Wir hatten eine sehr schöne Wohnmöglichkeit gefunden und hatten eben auch die Möglichkeit, die Werkstatt in der entsprechenden Größe zu organisieren, so, wie wir es wollten..

Lucie: Hier dann schon in Wallmow?

Reinhard:  Ja. Und wir waren hier wirklich auf dem Dorf angekommen, wie wir es uns so vorgestellt haben. Also, die nachbarschaftliche Nähe spielt da bestimmt eine Rolle, daß man  eben nicht zu anonym wohnt, sondern wirklich mit den Nachbarn zu tun hat.

Lucie: Ja, genau, das wollte ich auch fragen. Wie war die Situation, als ihr in Wallmow angekommen seid?

Reinhard:  Wir sind sehr freundlich aufgenommen worden. Hilfestellungen gab es an allen möglichen Stellen. Wir sind auch mit integriert worden in die kommunale Struktur. Zum Beispiel gab es einen Dorfclub, der den damals schon existierenden Fasching organisiert hat und da sollten wir mitmachen (lächelt), und so verschiedene Sachen. Wir wohnen ja hier in dem Pfarrhaus, das muß man auch sagen, also wir sind auch ausdrücklich als Mitglieder der evangelischen Kirche hierhergekommen. Haben uns so auch eingebracht und sind auch auf der Ebene natürlich sehr gerne willkommen geheißen worden.

Lucie: Kannst du dich noch an eine bestimmte Situation erinnern, wie du hier zum ersten Mal mit Leuten in Berührung gekommen bist?

Reinhard:  Ja. Der Nachbar Werner Krüger, der uns zum Beispiel geholfen hat, Dachziegel abzuladen. Ich kann mich auch an die erste Gemeindekirchenratssitzung erinnern, auf der wir unser Interesse hier offiziell bekundet haben, und der Gemeindekirchenrat daraufhin beriet, wie er damit umgehen will. Dann war natürlich auch viel Kontakt  über die Kinder, daß eben unsere Kinder nach Spielkameraden Ausschau gehalten haben und andersrum auch Kinder hierher gekommen sind. Die Neugierigsten vorneweg, wie das so ist, (lächelt).

Lucie: Gingen eure Kinder auch in den Kindergarten hier?

Reinhard:  Ja. Zwei zur Schule und Marie dann noch zum Kindergarten.

Lucie: Haben sich denn erst einmal deine Träume in dem Sinne hier erfüllt?

Reinhard:  Ja.

Lucie: Gibt es etwas, was du vermißt?

Reinhard:  Ausdrücklich vermissen tue ich, glaube ich, nichts. Also, zu dem Wechsel von Petershagen hierher, da steh ich total dazu, auch wenn sich eben die wirtschaftliche Situation ganz anders entwickelt hat, als wie damals vermutet haben. Aber das ist ja vielen Leuten so gegangen, auf den unterschiedlichen Ebenen. Wir sind hier, wohnen hier, glaube ich, sehr gerne und wie soll man die Frage anders beantworten, (lächelt)?

Lucie: Was habt ihr denn vermutet? Hattet ihr schon Vorstellungen?

Reinhard:  Die wirtschaftliche Entwicklung?

Lucie: Ja.

Reinhard:  Wir waren ja auch integriert in die damals staatlich gelenkte Wirtschaft und entsprechend hatten wir Kontaktpersonen, die uns hier eigentlich ganz freundlich aufgenommen haben. Die waren froh, daß ein Handwerksbetrieb hier neu dazugekommen ist. Wir hatten nicht den Eindruck, daß es jetzt hier schwieriger wird, als in Petershagen, aber natürlich mit der Währungsunion konkret, gab es plötzlich gänzlich andre Vorstellungen, wofür Geld ausgegeben werden soll. Es gab plötzlich ganz andere Dinge über den Handel zu kaufen, die wir also vorher handwerklich hergestellt haben, so daß wir eben 1991 den Betrieb abgemeldet haben, weil schlichtweg gar kein Auftrag mehr da war, es war einfach kein Auftrag da.

Lucie: Hattet ihr euch wahrscheinlich auch nicht so denken können, vorher.

Reinhard:  Nee, wir haben darüber auch nicht nachgedacht, denn in dieser Zeit gab es  ja eben andere Dinge, die unsere volle Aufmerksamkeit forderten, was jetzt die politische Entwicklung anging, konkret bezogen auf Wallmow und unsre nahe Umgebung, und da haben wir uns sehr stark engagiert und dieses Engagement hat natürlich uns einerseits stark gefordert und andererseits, dieses Manko, was sich auf dem andern Ende entwickelt hat, erst mal so ein bißchen unsichtbar gehalten, oder wir haben da einfach nicht drauf geguckt. Wir haben uns eben reingekniet in die Entwicklung von Wallmow.

Lucie: Wenn ihr da so drinnen gestanden habt, in dieser Entwicklung, auch so engagiert, gab es manchmal Probleme oder Meinungsverschiedenheiten oder andere Vorstellungen, mit den Dorfbewohnern?

Reinhard:  Na ja, es gab zunächst mal eine unerhört starke, ja, wenn man so will, Aufgabenstellung; Also, ich hatte mich zu der Kommunalwahl im Mai 1990 zur Wahl gestellt und bin da ja mit einer großen Stimmenmehrheit gewählt worden, in den Gemeinderat, und die Leute haben dann gesagt: „Ja, du hast die meisten Stimmen, du wirst dann Bürgermeister.“ Und mit dieser Aufgabe kam natürlich ein ganzer Wust an Sachen auf mich zu. Die bisherige Funktion der davor hauptberuflich tätigen Bürgermeisterin und die Sekretärin, die auch hauptberuflich angestellt war. Das plötzlich umzuschneiden, jetzt also eine ehrenamtliche Tätigkeit, ohne Sekretärin, doch eine war noch da erst, eine Sekretärin war noch angestellt, aber diese Leitung war, das war schon schwer, aber irgendwo, habe ich es halt so gut getan, wie ich es konnte. An dem Punkt waren  natürlich aber auch viele Entscheidungen zu treffen, die die Entwicklung von Wallmow von der Zeit an doch deutlich beeinflußt haben und in der Folge natürlich dann auch Konflikte, die ja doch auch sehr heftig waren, das muß man schon sagen.

Lucie: Kannst du dich da an konkrete Dinge erinnern?

Reinhard:  Ja, die Entscheidung zum Beispiel, wie das mit der Landwirtschaft weitergehen soll. Wie wird zukünftig der Betrieb, oder die Betriebe hier, wie werden die aussehen, die hier arbeiten, und da gab es eben zwei Modelle, die miteinander konkurrierten. Wir haben damals ganz klar die Entwicklung der biologischen Landwirtschaft mit dem Betrieb von Hans-Peter Wendt unterstützt und gefördert und das geriet dann mächtig in Konflikt mit Leuten, die dieses andere Modell bevorzugt hatten. Das war eben ein Betrieb, in dem damalige Parteisekretäre in zwei- oder dreifacher Ausführung hier platziert werden sollten, die einerseits Kooperation mit unterschiedlichen Betrieben suchte, einmal mit einem Betrieb aus Niedersachsen, Bad Koesfeld glaube ich, war das, und dann einem holländischen  Unternehmen, wo wir eben Sorge hatten, daß die Landwirtschaft hier ganz und gar aus der Hand der hier Ansässigen gerät. Und neben dem, daß Peter Wendt seinen Betrieb hier entwickelt hat, sollte das Alternativmodell eine Genossenschaft sein, die von den hier Ansässigen gegründet werden sollte. Diese Gründung ist als Genossenschaft dann schließlich nicht so geglückt und war dann eine GmbH geworden, mit Dingen, wenn man mal den Bogen bis heute schlägt, die mit einer Persönlichkeit zusammenhängen, wie soll ich das jetzt klar sagen? Vom Grundsatz her stehe ich sehr dazu, aber über die jetzige, tatsächliche Entwicklung bin ich nicht so besonders glücklich, sagen was mal so.

Lucie: Wie habt ihr denn den Peter kennen gelernt?

Reinhard:  Wir haben uns damals um den Kirchturm hier engagiert; da ist ja dann zu der Zeit der Turm hier neu eingedeckt worden, und die Leute hatten uns angesprochen: „Ja, wenn jetzt hier der Turm neu eingedeckt wird, gibt es dann auch eine neue Uhr?“  Und dann haben wir gesagt, daß die Kirche nicht das Geld für eine Uhr hat, aber vielleicht finden sich genügend Leute, die da spenden, und einer der Spender war eben Peter Wendt, von uns auch direkt angefragt. Wir kannten damals seine Adresse, kannten auch nur vage die Existenz seiner Familie, aber es gab da einen Mittelsmann, der eben alle möglichen Leute kannte, die früher in Wallmow gewohnt hatten und dann eben durch Enteignung hier weg sind und im Westen lebten. Der hat uns die Adressen genannt, und wir haben gefragt: „Wollt ihr euch an dieser Uhr beteiligen?“, und die haben alle gesagt: „Ja, machen wir!“

Lucie: Weißt du noch, wer dieser Mittelsmann war?

Reinhard:  Ja, das war Gerhard Kegel. Ich weiß nicht, ob er heute noch Vorsitzender des Geschichtsvereins Prenzlau ist. Keine Ahnung.. Es gibt da einen Geschichtsverein in diesem Kreis, da spielt Gerhard Kegel eine große Rolle, der in Niedersachsen lebt, aber mit der Uckermark sehr intensiv verbunden ist. Manchmal ist er auch noch als Autor von Artikeln in der Zeitung zu finden.

Lucie: Was hat sich denn für dich in der Zeit der Wende verändert?

Reinhard:  Die Möglichkeit, direkt Einfluß zu nehmen auf politische Abläufe, d.h., in der Gemeinde auf ganz konkrete Entscheidungen, das ist doch greifbar geworden. Der frühere Weg über Eingaben oder Einbindung in Parteistrukturen, den will ich mal nicht als direkte Einflußnahmemöglichkeit dagegen stellen, sondern ich kann jetzt einfach sagen, ich bin dafür, wir sind dafür, wir wollen das so machen, wer ist denn noch dafür, wo gibt es Mehrheiten? Das ist der eine Punkt, der andere Punkt ist sicherlich die viel breitere Möglichkeit, sein Leben wirklich selbst zu gestalten, was jetzt meinetwegen das Reisen angeht, meinetwegen auch die Gestaltung unserer beruflichen Arbeit. Die Offenheit birgt natürlich auch in sich, daß man dann Wind und Wetter ausgesetzt ist, was eben früher so nicht war, was ja die wenigsten so erlebt haben, daß, wenn irgendwie ein Geschäft nicht läuft, daß man denn eben mit den Konsequenzen auch leben muß.

Lucie: Und persönlich, die Reisemöglichkeiten hast du schon gesagt...

Reinhard:  Ja, wobei die natürlich für mich nicht... die waren schon da und ich habe die natürlich für mich genutzt, was Verwandtschaft angeht, oder was auch Vorlieben angeht, aber letztendlich hängt Reisen ja auch immer mit Geld zusammen. Das ist der eine Punkt und der andere ist, daß ich ja auch vor der Wende natürlich eifrig verreist bin, auch schon als Jugendlicher, und da gab es auch massenhaft Ziele und immer wieder neue, die man ins Auge nehmen konnte. Das ist also jetzt nicht die Situation, früher konnten wir nicht verreisen und jetzt können wir es, sondern die Ziele sind ein bißchen anders und man hat natürlich in dem Zusammenhang deutlich weniger mit Staatsgewalt, mit Grenzbehörden oder sonst irgendwie so was zu tun.

Lucie: Und war das eine Erleichterung, habt ihr das als Erleichterung empfunden oder?

Reinhard:  Ja!

Lucie: Wie war das sonstige Gefühl dazu, zu diesen ganzen Veränderungen?

Reinhard:  Also, die Veränderung ging ja aus einer halbwegs gewachsenen Situation aus innerhalb der DDR- Strukturen, durch quasi ein Nadelöhr, ja, der Einengung der Möglichkeiten. Nun grade in der Wendezeit war ja plötzlich alles ganz,... da waren wir ja plötzlich noch nicht mal in der Lage, innerhalb der DDR so ungezwungen zu verreisen. Wir hier an der polnischen Grenze zum Beispiel hatten das erlebt, daß man uns plötzlich aufgelauert hat, weil wir grade da irgendwo Pilze suchen waren, nur weil unser Auto da stand, und man vermutete, daß wir Leute sind, die jetzt grade dabei sind, nach Polen und in die deutsche Botschaft nach Polen abzuhauen. Oder wir wollten gerne ins Erzgebirge fahren, um dort Werkzeuge für unseren Betrieb, für unsere Arbeit zu kaufen. Dieser Ort, wo die Werkzeugschmiede arbeitete, lag direkt an der tschechischen Grenze. Es war schlicht unmöglich. Und natürlich die Nervosität der staatlichen Behörden in allen möglichen Zusammenhängen hat sich natürlich da auch immer wieder durchgeschlagen. Was für mich natürlich eine besondere Rolle gespielt hat, das ist  ein Punkt, wo vielleicht die größte Erleichterung auch hergekommen ist, daß eben der Druck, möglicherweise zur Armee eingezogen zu werden, zu irgendwelchen Reservegeschichten, oder sogar in der Spannungssituation dann auch zu Einsätzen, die sich gegen die eigene Nachbarschaft äußerte, der war dann ganz weg. Also, das war ja sonst immer ein System der Machtpräsenz, sagen wir mal so, daß immer mal wieder eine Karte vom Wehrkreiskommando ankam. Wehrkreiskommando war die Behörde, die eben diesen Wehrdienst organisiert, und wenn’s nur Berichtigung der Unterlagen, oder eine Musterung, oder eben wie gesagt, eine Reservegeschichte war. Es gab dann immer große Schreckensszenarien, wenn dann so eine Karte im Briefkasten war und die kam nicht mehr.
Also, ich habe Ende 89 auch die Verweigerung zum Wehrdienst erklärt, und steuerte da im Prinzip auch auf eine Inhaftierung  zu, oder ähnliches. Und das hat sich dann auch alles gelöst.

Lucie: Und warst du dann also einer der Andersdenker?

Reinhard:  Ja. Das denke ich schon, ja.

Lucie: Und hast es auch schon so gelebt, schon vorher?

Reinhard:  Ja.

Lucie: Wir haben schon ein Interview mit Anette gemacht und die hatte gesagt..

Reinhard:  Welche Annette?

Lucie: Annette Bohsung. Die hatte gesagt, es war am Anfang sehr schön, weil hier, vor allen Dingen bei euch, war immer so ein Pol, wo man sich getroffen hat, zum Kaffeetrinken, bei den Ersten, die hier so neu angekommen sind. Wie hast du die Situation in Erinnerung?

Reinhard:  Die habe ich auch so in Erinnerung, daß eben hier viele, ja, daß wir eben ein offenes Haus hatten für Leute, die einen neuen Lebensraum gesucht hatten, das stimmt schon. Wir haben das häufig unterstützen können, was jetzt Wohnungen oder Hauskauf oder so etwas anging, weil wir eben hier relativ viel Überblick hatten, was hier wo passiert. Wir konnten auf Vorreiter ja nicht zurückgreifen, wir waren eben von dieser Coleur die Ersten.

Lucie: Und habt es ja ganz gut gemeistert.

Reinhard:  Ja. Aber man muß auch sagen, ausdrücklich in der Akzeptanz und Freundlichkeit der Nachbarn, die da sonst waren. Also, wir waren wirklich von den Leuten, die da sonst waren, die hier wohnten, wirklich freundlich aufgenommen worden, also insofern hatten wir uns nicht da irgendwo reinkämpfen müssen. Was dann gelegentlich später etwas anders lief, also wo, nach meinem Überblick, jetzt jedenfalls doch viel offener Kritik oder Ablehnung den Neuzugängen entgegengebracht wird.

Lucie: Wann jetzt?

Reinhard:  Na ja, so im weiteren Verlauf der 90ger Jahre, so diese Klassifizierung: die Neuen, die Alten, die Grünen und die Anderen, oder weiß ich wie was.. Das hat sich ja erst entwickelt

Lucie: Und wie habt ihr das beobachtet, diese Klassifizierung, und es gab ja auch immer wieder die Zeitungsartikel..

Reinhard:  Ja, die Zeitungsartikel sind durch die Bank eigentlich schlecht gewesen, also das war für uns natürlich auch total neu, daß eben ein Medium wie die Zeitung einen Artikel schreibt, nicht, um endlich die Wahrheit ans Licht zu bringen, sondern um erst mal Auflage zu machen, um mal Staub aufzuwirbeln. Gerade in der ersten Zeit setzte man immer viel Hoffnung: da wird jetzt mal ein Artikel geschrieben und da steht es endlich dann auch mal so drin, wie es richtig ist, aber es stand eigentlich nie da so richtig drin.

Lucie: Kannst du dich noch an ein besonders schönes Erlebnis erinnern, als ihr hier angekommen seid?

Reinhard:  Jetzt rein von der Situation her oder eine Gegebenheit, oder?

Lucie: Ja. Oder eine Begegnung..

Reinhard:  Die, wie ich schon sagte, die Nähe, also Freundlichkeit der Nachbarn, das war schon, glaub ich, doch sehr schön zu erleben; zum anderen die Situation, ja, so ein großer Garten und die Fahrt hierher, ja, auch wenn wir immer nur am Wochenende hierher kamen  und nicht immer. Aber es war sehr häufig Stromsperre (lächelt), das war wirklich so, und dann fiel auch gleich das Wasser aus. Aber das hat uns irgendwie nicht besonders tangiert, irgendwie, das war eben damals häufig so.

Lucie: Was hat sich denn generell noch im Dorf verändert, durch die Wende, was ihr so beobachten konntet, was euch vielleicht gar nicht so betroffen hat, oder auch, was euch betroffen hat?

Reinhard:  Die Situation, daß die LPG das Zentrum des Dorfes ist, nicht nur als DER Arbeitsplatz, mit ein paar wenigen Ausnahmen. Es waren ja über hundert Leute in der Landwirtschaft beschäftigt, diese LPG und die Strukturen, die da eben dazu gehörten; waren ja auch zum Beispiel eigentlich für Wohnungen zuständig. Ich weiß gar nicht, ob es kommunale Wohnungen gab, doch gab es auch, aber irgendwo drehte sich da sehr viel um, ging da sehr viel über die Schreibtische der LPG: was wie passieren sollte, in einzelnen Dingen, was Wohnung betrifft, was Arbeit betrifft. Wohnen und Arbeiten war ja in der  Zeit eigentlich dasjenige, was das Leben irgendwo dargestellt hat, und das war dann plötzlich so nicht mehr da. Dann gab es die erste Arbeitslosigkeit und dann auch bald eine erste ABM, die Anne, also meine Frau, damals geleitet hat, Es waren über 20 Leute, die dann plötzlich einen neuen Arbeitsplatz hatten, aber total engagiert rangingen. Das gehört zu den Dingen, die damals eben in der Zeit, wie wir da in der Kommune sehr aktiv waren, eben organisiert werden konnten. Da wurde dann zum Beispiel der Löschteich angelegt und der Spielplatz und die Bepflanzung, also die Kirschallee nach Wendtshof und nach Schwaneberg raus. Derlei Dinge, die kommen aus dieser Zeit her, und das war eben, ja, die waren sehr munter eigentlich dabei, auch wenn es nur eine befristete Arbeit war. Aber das war irgendwie ein neues Ziel. Das hat sich natürlich jetzt über die Zeit abgeschliffen, diese ABM, oder sonstige Arbeitsfördergeschichten, sind längst kein neues Ziel mehr, ist ja irgendwie, ist ein Schritt im Hamsterrad,  und das ist eine deutliche Veränderung, daß die, die Arbeit haben, zum Teil sich unwahrscheinlich stark da engagieren und zum Beispiel die Bauleute, die jetzt nach Holland fahren oder damals noch in den norddeutschen Raum, Hamburg oder so, endlos unterwegs sind, für diese Arbeit, die sie da machen. Und andere haben eben keine, und die sind dann hier. Manche sind darüber unglücklich, manche kommen auch extra  hierher, um keine Arbeit zu haben, habe ich auch schon beobachtet. Ja, das gab es schon, daß man sich dem Arbeitsmarkt und der Vermittlung ein bißchen entzogen hat, durch Umzug zum Beispiel, hierher auch.

Lucie:  In welcher Zeit?

Reinhard:  Ja, auch Anfang der 90ger Jahre.

Lucie: Also, mit Annette und Peter Wendt hattet ihr ja am Anfang  schon relativ schnell Kontakt, oder?

Reinhard:  Ja.

Lucie: Und wie habt ihr das mit den anderen, die nach und nach dazu kamen, beobachtet?

Reinhard:  Je mehr es wurden, desto weniger gezielt war wahrscheinlich der Kontakt und desto weniger war das Bedürfnis auch von der anderen Seite eben, so ausgerechnet zu uns Kontakt zu haben. Das ist ja auch klar, wenn es vielschichtiger wird, dann trägt es ja eine ganz anderen Breite..

Lucie: Und wie war eure Empfindung, daß jetzt hier auf einmal so viele Leute herkommen?

Reinhard:  Das fanden wir und finden wir eigentlich ganz o.k., obwohl ich mir natürlich nach und nach auch Gedanken mache, welche Struktur wächst denn jetzt auf, was ist denn die Überlebensfähigkeit einer solchen Gesellschaft, wie sie jetzt hier zusammen ist.

Lucie: Also gibt es ganz konkrete Sorgen, die du dir machst?

Reinhard:  Na ja, das dreht sich im Grunde auch um die Arbeitssituation, wie viel Wertschöpfung läuft eigentlich, wie viel berufliche Arbeit läuft eigentlich hier im Dorf. Was nehmen die Nachwachsenden wahr, wie jetzt deine Generation zum Beispiel. Wie funktioniert Leben? Ist die Elterngeneration da durchweg als Vorbild anzusehen, vielleicht in deiner Generation  auch Erkenntnis, daß das irgendwo so auch nicht gehen kann. Das ist ein sehr spezielles Gesellschaftsbild, was sich hier eben zurechtgeschuckelt hat, was eben ja auch einfach entsteht, dadurch, daß die Möglichkeit sich nach und nach eröffnet hat und hat ja so eine Anziehungskraft, und es ist ja nicht beliebig übertragbar zu sagen, ja, machen wir dasselbe jetzt noch mal da und da. Das Potential ist ja auch nicht da und weil es eben so eine spezielle Gruppe ist, ist natürlich auch die Frage, wie wird sich das entwickeln.

Lucie: Wie hat sich denn deine Arbeit, dein berufliches Leben, so entwickelt?

Reinhard:  Das hat sich eigentlich gut entwickelt, was die Anerkennung der Arbeit angeht. Auf alle Fälle hat sich das gut entwickelt, die Zeit mal ausgeklammert, die wir auch mal arbeitslos waren, von 91 bis 93. Da hatten wir den Betrieb abgemeldet. Anne hatte die ABM geleitet und ich hatte auch eine ABM, die ich mir auch selber organisiert hatte, das Kirchendach mit neu gedeckt, und da die beiden Pfeiler gemacht, also die ganze Sache war ja damals da auch umgestaltet worden. Aber dann ging es doch eben ganz gut los, mit allem möglichen, und dann auch im Zuge des Baubooms auch hier in der Uckermark dann mit dem Arbeiten für die Bauwirtschaft, also mit den Treppengeländern, da haben wir halt sehr viel zu tun gehabt und mit den Spinnrädern ging es so ganz, ganz langsam wieder los, die wir ja schon auch in den 80ger Jahren in Petershagen gebaut haben und das hat sich langsam in den Gewichten verschoben, daß wir jetzt vielleicht 80 % Spinnräder haben und Bauwirtschaft vielleicht 5 % oder so. Ja, das hat sich extrem gewandelt. Also, unsere Spinnräder werden deutschlandweit gehandelt, also von uns aus deutschlandweit verschickt und manchmal auch ins Ausland und die werden auch in den entsprechenden Internetforen freundlich besprochen, also da gibt es irgendwie sehr wenig Kritik, sondern eher Lob dazu und das ist natürlich ein beruflicher Erfolg; daß damit nicht das dicke Geld verbunden ist, könnte man vielleicht auch als Wiederausbleiben von Erfolg bezeichnen, ich bemühe mich immer, das nicht so zu sehen, aber natürlich, wenn es an Geld fehlt, ist es denn auch immer blöd, und wenn vor allen Dingen ja die Konjunktur da ein Auf und Ab mit sich bringt, und wenn die finanzielle Decke da nicht so dicke ist, dann erlebt man dieses Auf und Ab besonders stark mit.

Lucie: Ja, und irgendwann hat das ja auch angefangen mit den ganzen Instrumenten, oder mit dem Unterricht?

Reinhard:  Ja, das ist noch gar nicht so lange her, das ist jetzt fünf Jahre, sechs Jahre her. Ich hatte irgendwann mal die Lust, selber für mich wieder Musik zu machen. Die nächste Möglichkeit war dann ein Posaunenchor und dann bin ich nach Schönfeld gefahren und habe da was aufgegriffen, was ich als 14-Jähriger mal ausprobiert habe; also, Trompete spielen hatte ich als Schüler dann mal gemacht. Im weiteren Verlauf hatte ich auch mal 4 Jahre Saxophon gespielt und das auch intensiver betrieben und dann eben seit 1983, 84 gar nicht mehr, und dann wieder angefangen. Und dann gab es hier mal die Situation, daß eben zum Weihnachtsgottesdienst, zum Heilig Abend, wir was zusammen machen wollten. Ich hatte grade wieder ein bißchen Boden gefaßt und ich dachte, Maximilian hat grade in Brüssow damit angefangen und Max Lindhorst auch und da dachte ich, da werden wir zu dritt was spielen. Das ist dann wegen Krankheit ausgefallen, aber trotzdem ist übriggeblieben, daß eben wir gesagt haben: ja klar, wir wollen das machen, und da hatten wir das dann hier initiiert, den Gedanken, daß wir so einen Posaunenchor aufbauen, und da gab es gleich noch eine ganze Reihe von zumeist Wallmowern, die gesagt haben, ja, da würden wir gerne mitmachen und die haben dann alle auch neu angefangen zu lernen.

Lucie: Das war doch ein schönes Gefühl, oder?

Reinhard:  Ja, das ist bestimmt eine ganz tolle Sache, daß sich das so entwickelt hat. Und es gibt ja dann immer wieder Leute, die dann sagen, ja, das will ich jetzt auch. Es gibt auch viele, die auch bald wieder aufhören (lächelt), aber es bleiben ja immer mehr auch hängen, also, wenn ich da gucke, dann sind es zur Zeit 18 Leute, die da auf irgend einer Ebene, mit dem Blasen zu tun haben, und die Allermeisten von denen haben dann auch hier bei mir gesessen und geübt.

Lucie: Gibt es was, wo du denkst, das sollte sich im Dorf- oder Gemeinschaftsleben verändern?

Reinhard:  Ja gut, das mag ein bißchen als platter Spruch klingen, aber ich will es mal trotzdem dabei auch bewenden lassen: die Gemeinschaftsorientierung über das ganze Dorf sollte sich bei manchen auch weiterentwickeln. Also, so wie in der Gruppierung der alten Wallmower eben manche ausdrücklich ihr Ding sehen und Andere am liebsten gar nicht wahrnehmen, und wahrnehmen, was die da tun, gibt es auch bei den Zugezogenen dieselbe Situation und das ist manchmal ein bißchen eigenartig. Das führt bis zu solchen Kuriositäten, daß Kundschaft hier nach Wallmow kommt, um bei uns in der Werkstatt etwas zu kaufen, und fragt jemanden: „Wo wohnen denn die Henkys?“, und die gucken: „Keene Ahnung, watt datt soll; wees ick nich, gibts nich, hab ick no nie jehört!“, oder so, und das ist dann entsprechend bei weitem nicht die Wahrnehmung, die wir vor der Wende hatten, wo jeder wirklich jeden wahrgenommen hat und gekannt hat. Klar gab es da auch kreuz und quer Streit oder Verwandtschaft, oder wie auch immer, also ganz verschiedene Ebenen meine ich. Aber dieses Bewußtsein, wir sind hier ein Dorf, das war ein ganz anderes, als wie es jetzt ist.

Lucie: Hast du noch konkrete Erinnerungen, wodurch sich dein Leben in Wallmow verändert hat?

Reinhard:  Ja, diese Aufgabe des Posaunenchors ist sehr prägend, ganz gewiß.

Lucie: Gibt es Dinge, die dich besonders anziehen, die du besonders auch in den Vordergrund stellen würdest, oder loben könntest, von Wallmow, heute oder auch früher?

Reinhard:  Ist ein bißchen allgemein die Frage, die kann ich jetzt so nicht klar beantworten. Also, ich nehme ganz gerne zur Kenntnis, daß eben mal mehr und mal weniger Leute sich einladen lassen, zu Veranstaltungen, und das mischt sich gelegentlich ganz bunt, manchmal ist es dann aber auch einseitig, aber es gibt auf jeden Fall den Spielraum, Dinge zu machen. Da hat sich manches auch entwickelt, was die Akzeptanz angeht, auch dieser Sport- und Karnevalsverein hat sich ja mächtig entwickelt, an dem Punkt.

Lucie: Fühlst du dich hier angekommen?

Reinhard:  Ja.

Lucie: Welche Visionen und Träume hast du heute in bezug auf die Zukunft?

Reinhard:  Daß die Situation so bleibt, daß die Häuser bewohnt bleiben, daß man hier ein Leben zusammen leben kann, was eben allen gerecht wird und allen Spaß macht und was allerdings auch nicht als Nische genutzt wird, um irgendwo sein Extrading zu fahren, also die Gemeinschaft sollte schon aktiv gestaltet sein, das meine ich damit.

Lucie: Und könnt ihr euch oder kannst du dir vorstellen, noch mal hier wegzuziehen?

Reinhard:  Würde ich nicht wollen. Es könnte ja eine Situation geben, die das dann notwendig macht, aber da gibt es keinen Wunsch, jetzt wegzuziehen.

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